„Meinen ersten guten Wein habe ich geklaut“ – im Gespräch mit Tim Raue

Lächelndes Porträt von Tim Raue in einer blauen Kochjacke
Nele Weissenborn
Nele Weissenborn
Tim Raue ist einer der bekanntesten Köche Deutschlands. Sein gleichnamiges Berliner Restaurant trägt seit 2012 zwei Michelin-Sterne. Regelmäßig zählt es zu den World’s 50 Best Restaurants. Was viele nicht wissen: Tim Raue kocht nicht nur hervorragend, sondern kennt sich auch mit Wein ziemlich gut aus. Grund genug, mit ihm einmal nicht übers Kochen, sondern über großartige Weine zu sprechen. Im AMEXcited-Interview erzählt er von edlen Tropfen, die im Getriebe rattern, schwärmt von Pinot Noirs und erklärt, warum es für ihn keinen guten Wein unter fünfzig Euro gibt.

Herr Raue, was war der erste gute Wein Ihres Lebens – und wie hat er Ihnen geschmeckt?

Den habe ich geklaut. Im Swissôtel Berlin – dem ersten 5-Sterne-Haus, in dem ich gearbeitet habe. Das gibt es heute nicht mehr. Damals machte der Sommelier eine Inventur und eine Flasche 1976 Trockenbeerenauslese Ihringer Winklerberg von Dr. Heger blieb übrig. Fast mein Jahrgang, ich bin 1974 geboren. Die habe ich eingesackt.

Ich war so heiß darauf die Flasche zu probieren, dass ich sie damals leider nicht richtig durchgekühlt habe. Und musste dann feststellen, dass sie lauwarm nicht ganz so gut schmeckt. Der Wein an sich ist aber fantastisch – ein toller Süßwein mit sirupartiger Konsistenz und intensiven Noten aus Passionsfrucht, gerösteten Mandeln und Honig.

„Pinot Noir fordert. Den säuft man nicht einfach so weg.“

Wenn Sie nur noch einen Wein für den Rest Ihres Lebens trinken dürften, welcher wäre das?

Pinot Noir. Diese Rebsorte ist unglaublich komplex. Für mich ist sie das Mysterium der Weinwelt. Eine fast schon intellektuelle Herausforderung, sie zu verstehen. Jeder Jahrgang, jedes Dorf, jede Lage ist anders. Pinot Noir fordert. Im Glas braucht dieser Wein Raum. Das säuft man nicht einfach so weg.

Falls ich mich für ein Weingut entscheiden soll, würde ich sagen Armand Rousseau – eines der besten Weingüter im Burgund. Das „Weinhigh“ ist neben Fashion und Kunst mein einziges Hobby. Da gebe ich gerne etwas mehr Geld für aus.

Herbstliche Weinberge im Burgund

Erinnern Sie sich an die erste Flasche Wein, die Sie mit Ihrer Frau getrunken haben?

Das war ein Krug Champagner. Eine Grande Cuvée. Ich liebe Champagner, vertrage ihn seit einigen Jahren aber nicht mehr besonders gut. Genauso wie Weißwein. Früher habe ich immer Krug getrunken, wenn es etwas zu feiern gab. Jetzt musste ich auf Pinot Noirs umsteigen, aber auch das geht wunderbar.

Gibt es denn Weißweine, die Sie vermissen?

Restsüße Rieslinge vermisse ich schon manchmal. Am liebsten mag ich Spätlesen und Auslesen, weil die ein schönes Spiel aus Süße und Säure mitbringen. Das harmoniert gut mit der Würze und Schärfe der Gerichte, die ich koche, und vor allem auch selbst gerne esse. Außerdem liebe ich dicke, fette weiße Burgunder. Das geht mit meinem Magen aber beides leider überhaupt nicht mehr.

„Ein Portwein von 1830 liegt noch im Fach für meine Top-10-Pullen.“

Welchen Wein sparen Sie sich noch für einen besonderen Moment auf?

Eine Flasche Portwein von 1830, die ich vor einigen Jahren ersteigert habe. Die war eigentlich für meine Hochzeit vor fünf Jahren gedacht, liegt aber immer noch im Weinkühlschrank. Da habe ich ein Fach für meine Top-10-Pullen – das Größte, was ich gekauft, ersteigert oder zugeteilt bekommen habe. Und dort wartet auch dieser Portwein.

Ich denke, ich öffne ihn an seinem 200. Geburtstag, also 2030. Trinken möchte ich ihn am liebsten mit Menschen, die mir wichtig sind und einschätzen können, was sie da Besonderes im Glas haben.

Wann trinken Sie, Herr Raue?

Ich trinke sehr bewusst und nur zu drei Gelegenheiten: Im Urlaub, mit Freund:innen und zu einem guten Essen am Samstagabend. Unter der Woche trinke ich fast nie. Für mich ist es übrigens die absolute Hölle aus einem schlechten Glas Wein zu trinken. Wenn ich auswärts essen gehe, checke ich sofort die Weingläser. Passt das nicht, trinke ich keinen Wein. In meinem Restaurant Tim Raue haben wir 19 verschiedenen Gläser. Da bin ich ein wahnsinniger Pedant.

Das richtige Weinglas macht den Unterschied

Ein gutes Weinglas ist so gemacht, dass es die für den Weinstil charakteristischen Aromen herausarbeitet. In der Regel wird zwischen einem Bordeaux-, einem Weißwein- und einem Burgunderglas unterschieden. Für Schaumwein kommt meist die Champagnerflöte zum Einsatz. Je dünner das Glas, desto besser: So fällt der Wein direkt auf die Zungenspitze, wo Geschmacksnuancen, insbesondere Süße, am besten geschmeckt werden können.
Innenraumaufnahme eines modernen Restaurants mit großem Weinkühlschrank

Was trinken Sie eigentlich gerne, wenn Sie keinen Wein trinken?

Meine schlimmste Droge war immer Limonade. Ich bin der totale Zuckerjunkie. Nun trinke ich nur noch stilles Wasser, am liebsten auf Raumtemperatur. Aber Speiseeis gibt es ja leider auch noch.

Zur Person: Sternekoch Tim Raue

Tim Raue gehört aktuell zur Liga der deutschen Starköche, ähnlich wie Kevin Fehling oder Tantris-Chef Benjamin Chmura:
  • 1974 geboren, aufgewachsen im Berlin-Kreuzberger Wrangelkiez
  • 1991: Beginn der 3-jährigen Ausbildung im Restaurant Chalet Suisse im Grunewald
  • 2005: Aufsteiger des Jahres im Gault&Millau
  • 2007: 1 Michelin-Stern für das Restaurant 44/Swissôtel Berlin und Koch des Jahres
  • 2008: 1 Michelin-Stern für MA/Hotel ADLON Holding GmbH
  • 2010: 1 Michelin-Stern für das Restaurant TIM RAUE
  • 2011: 19 Punkte im Gault&Millau für das Restaurant TIM RAUE
  • 2012: 2 Michelin-Sterne für das Restaurant TIM RAUE
  • 2015: 1. Auftritt in der Vox-Kochshow „Kitchen Impossible“
  • 2019: Platz 1 der Germany’s 50 Best Chefs des internationalen Gastronomiefachmagazins Rolling Pin; Coach der Koch-Castingshow „The Taste“; Juror in der Kochsendung „Ready to beef!“
  • 2021: Platz 31 der World’s 50 Best Restaurants
  • 2022: Platz 26 der World’s 50 Best Restaurants

Nehmen Sie im Restaurant die Weinbegleitung?

Die Weine, die ich gerne trinke, gibt es in keiner Weinbegleitung. Wenn ich auf der Weinkarte nichts finde, das mir schmeckt oder was ich gerne mal ausprobieren will, dann lasse ich das. Ich brauche nicht mehr sechs verschiedene Weine zu sechs verschiedenen Gängen. Das habe ich alles erlebt. Mittlerweile konzentriere ich mich auf eine Flasche zum Essen.

„Überseeweine sind nicht mein Ding.”

Welche ist Ihre liebste Weinregion?

Ich bin ein sehr traditioneller Trinker und schätze Frankreich, besonders das Burgund. Ein bisschen Italien nehme ich auch noch mit. Das kalifornische Napa Valley bis Anfang der Neun­zi­ger­jah­re finde ich auch spannend. Danach wird es mir dort zu marmeladig. Überseeweine sind nicht mein Ding. Ich bin da eher der Oldtimertyp und mag Weine der alten Welt, die mich beim Trinken herausfordern und ein bisschen im Getriebe rattern.

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Welche deutschen Weingüter empfehlen Sie?

Ich arbeite eng mit dem Weingut Dreissigacker zusammen. Jochen Dreissigacker habe ich kennengelernt als er noch in seinen Zwanzigern war – ein sehr schöner, eleganter Mann mit einer einzigartigen Dynamik. So sind auch seine Weine. Die spiegeln ihn als Person total wieder – wie bei mir mein Essen.

Das Pfälzer Weingut Markus Schneider kommt bei uns im Restaurant toll an. Er macht deutsche Weine, die auch internationale Gäst:innen schnell verstehen.

Ansonsten noch J. J. Prüm. Das sind für mich die elegantesten Rieslinge, die gemacht werden. Als ich noch konnte, habe ich die bis 1937 runtergetrunken. Diese Weine können ohne Probleme sehr alt werden, wenn sie richtig gelagert werden.

Eine Weinflasche des Labels Dreissigacker Vintage neben gefüllten Weißweingläsern

Wie stehen Sie zu Naturweinen?

Schwierig. Ich bin kein Fan von trendigem Zeug. Naturweine schmecken für mich nicht nach Wein. Das kann lustig zum Probieren sein, ist für mich aber kein großer Wein. Bei uns im Restaurant schenken wir vielleicht mal einen Pet Nat aus, der witzig zum Gang ist, aber das bleibt die Ausnahme. Wir sind zeitloser unterwegs. Es gibt aber auch Weingüter wie zum Beispiel die Domaine de la Romanée-Conti, die ich sehr schätze und die auch biodynamischen Weinbau betreiben.

Tim Raue gefragt: Lieber …

 
... Château Rayas oder Domaine de la Romanée-Conti (DRC)?
Auf jeden Fall DRC.
 
... Guide Michelin oder Gault&Millau?
Joker. Beides ist wichtig, weil es jeweils sehr unterschiedliche Gästeklientel anspricht.
 
... Weingut Dreissigacker oder Weingut J. J. Prüm?
Dreissigacker. Zu ihm habe ich die engere persönliche Beziehung.
 
... ein Besuch im Tulus Lotrek oder im Nobelhart & Schmutzig?
Wenn ich internationalen Gäst:innen einen starken Kontrast zu unserem Restaurant zeigen möchte, dann das Nobelhart & Schmutzig. Für Essen und Trinken gehen mit Freund:innen geht es ins Tulus Lotrek.
 
... Wein aus Südafrika oder Wein aus Neuseeland?
Dann bitte stilles Wasser.

Viele Promis machen eigenen Wein. Glauben Sie, dass zum Beispiel Günther Jauch etwas von Wein versteht?

Das Weingut von Othegraven, das mittlerweile Günther Jauch gehört, kannte ich lange, bevor ich Günther Jauch kannte. 1999 war die damalige Besitzerin Frau Dr. Heidi Kegel bei uns essen und erzählte, dass sie noch große Mengen von zwei fantastischen Jahrgängen im Keller habe. 1971 und 1976 – das sind Jahrhundertjahrgänge. Das bot sie für damalige Verhältnisse für’n Appel und’n Ei an. Wir haben sofort eine Palette für unser Restaurant gekauft.

Was Günther Jauch aus dem Weingut gemacht hat – es gehört meiner Meinung nach zu den besten Weingütern Deutschlands, dem zolle ich tiefsten Respekt.

„Ich komme ins Spiel, wenn es um Bordeaux, Burgund und die großen italienischen Weine geht.”

Mischen Sie bei der Weinauswahl mit oder überlassen sie Ihren Sommeliers und Sommelièren das Ruder?

Teils, teils. Wir haben auf unserer Weinkarte rund 1.600 Positionen. Die splitten wir untereinander auf. Vieles übernehmen meine drei Sommeliers und Sommelièren. Dann gibt es noch meine Geschäftspartnerin Marie-Anne Wild, die sich sehr gut mit Champagner und Weißwein auskennt.

Marie-Anne Wild probiert einen Weißwein in einem Restaurant

Ich komme ins Spiel, wenn es um Bordeaux, Burgund und die großen italienischen Weine geht. Da kenne ich mich aus, weil ich viele dieser Weine bis zum ersten Jahrgang verkostet habe.

Und ich schaffe oft den Zugang zu den begehrten Weingütern. Burgund ist die Hölle. Da muss ich kratzen, beißen und betteln, um ein paar Flaschen zu bekommen. Bordeaux-Weine kannst du für Geld kaufen, aber die großen Weine im Burgund sind wirklich stark limitiert.

Woran machen Sie fest, welcher Wein zu welchem Essen passt?

Wenn ein Gericht in den letzten Zügen ist, präsentiere ich es meinen Sommeliers und Sommelièren sowie meiner Geschäftspartnerin. Meist habe ich schon einen Wein im Kopf, halte aber erst einmal den Mund und schaue, was die anderen so anschleppen. Dann wird verkostet.

Ein Wein muss einen Gang noch besser machen. Schwere Gänge brauchen einen zarten, leichtfüßigen Wein. Fragile Gänge brauchen einen Wein, der die nötige Struktur und Fülle gibt – sozusagen das Rückgrat des Gerichts.

Wenn wir den Wein zum Essen gefunden haben, geht es im nächsten Schritt um die richtige Temperatur und das richtige Glas. Das kann teilweise bis zu drei Monate dauern. Bevor das nicht alles stimmt, kommt der Gang nicht auf die Karte.

Ein weißer Gourmetteller mit stilvoll angerichtetem Wasabi Kaisergranat

Nerdpedia

Das bekannteste Foodpairing von Tim Raue ist Wasabi Kaisergranat mit einer restsüßen Riesling-Auslese vom Weingut Dreissigacker.

„Wein ist wie Gastronomie. Er kann entweder mit der Fritteuse oder mit der Pinzette gemacht werden.“

Im Podcast „Terroir und Adiletten“ sagen Sie, dass Sie noch nie einen guten Wein unter 50 Euro getrunken haben?

Ich habe bestimmt Tausende Weine in meinem Leben getrunken und die Hälfte davon blind verkostet. Immer mit dem Bewusstsein, dass ich nicht weiß, was da vor mir steht. Und da war noch nie etwas unter 50 Euro dabei, wo ich gesagt habe: „Wow, bitte noch ein zweites Glas.“

Ein preisliches Limit gibt es bei mir nicht. Wein ist für mich kein Alltagsprodukt, sondern etwas Besonderes. Im Moment bin ich zum Beispiel sehr scharf auf einen ganz bestimmten Trousseau. Diesen Wein gibt es nicht mehr am Markt, nur noch auf Auktionen. Wenn mir davon morgen eine Flasche über den Weg läuft und ich hätte Lust sie zu trinken, dann würde ich das, ohne zu zögern, tun.

Wein ist wie Gastronomie. Er kann entweder mit der Fritteuse oder mit der Pinzette gemacht werden. Vom fünf Euro Einstiegspreis im Supermarkt bis zu 15.000 Euro pro Flasche – und alles hat seine Abnehmer:innen.

Zu Besuch in Berlin: Raues Lieblingsorte

  • Das KaDeWe: ein visueller Rausch für die Sinne.
  • Die Circle Culture Gallery und die König Galerie: Kunst inspiriert mich sehr.
  • Der Conceptstore Andreas Murkudis: für schöne Dinge und um meinen Kopf freizubekommen.
  • Die Osteria Centrale: mein Lieblingsitaliener mit feiner toskanischer Küche.
  • Die Bar Freundschaft: die beste Weinbar Berlins. Toller Wirt und illustre Gäst:innen.
  • Das Tulus Lotrek, Nobelhart&Schmutzig und Horváth: Wer nach Berlin kommt, sollte in diesen Restaurants einmal zu Abend essen.
  • Die Villa Kellermann in Potsdam: Das Restaurant mache ich zusammen mit Günther Jauch. Eine Empfehlung für alle, die mal aus der Stadt raus möchten.

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