- Die Anfänge des Wirecard-Skandals
- Der Wirecard-Skandal: So wurde der Bilanzbetrug ab 2019 öffentlich
- Die Folgen des Wirecard-Skandals
- Welche Lehre lässt sich aus dem Wirecard-Skandal ziehen?
- FAQ: Häufige Fragen und Antworten
Das Wichtigste aus diesem Artikel
- Erste Vorwürfe gegen Wirecard: Schon 2008 gab es Vorwürfe einer irreführenden Bilanzierung gegen die Wirecard AG.
- Aufstieg und Fall: Trotz der Vorwürfe stieg die Wirecard-Aktie rasant an und erreichte 2018 ihr Allzeithoch von knapp 200 Euro. Anfang 2019 begann jedoch der Absturz.
- Bilanzbetrug ab 2019: Die „Financial Times“ berichtete über problematisches Geschäftsgebaren bei Wirecard, was zu einem starken Kursverlust führte.
- Vorwürfe nicht geklärt: Eine Untersuchung durch KPMG konnte Unregelmäßigkeiten nicht vollständig ausräumen, dennoch erklärte sich das Unternehmen als entlastet.
- Fehlende Milliarden in der Bilanz: Im Juni 2020 wurde bekannt, dass in der Bilanz von Wirecard insgesamt 1,9 Milliarden Euro fehlten. Der Aktienkurs stürzte daraufhin ab.
- Konsequenzen des Skandals: Der Skandal führte zur Insolvenz von Wirecard und hohen Verlusten für Anleger:innen. Auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY und die BaFin gerieten in die Kritik.
Die Anfänge des Wirecard-Skandals
Bereits 2008 gab es gegen die Wirecard AG erste Vorwürfe einer irreführenden Bilanzierung. Diese wurden allerdings durch die kurz darauf veröffentlichten Halbjahreszahlen und ein Sondergutachten gemeinhin als ausgeräumt betrachtet.
Diese Vorwürfe änderten jedoch nichts am anfänglichen Erfolg der Wirecard-Aktie: Aus einem Pennystock (also einer Aktie mit niedrigem Kurswert) zu Beginn der 2000er-Jahre entwickelte sie sich rasant und erreichte im September 2018 mit knapp 200 Euro ihr Allzeithoch. Nur wenige Wochen später folgte der Aufstieg in den DAX, was die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens scheinbar bestätigte.
Quick-Info: Die Wirecard AG
Der Wirecard-Skandal: So wurde der Bilanzbetrug ab 2019 öffentlich
Im Anschluss an den DAX-Aufstieg ging es für Wirecard jedoch Schritt für Schritt bergab: Ende Januar 2019 berichtete die „Financial Times“ über angebliches problematisches Geschäftsgebaren von Wirecard-Mitarbeiter:innen in Singapur. Diese hätten Kund:innen und Umsätze erfunden, um an eine Geschäftslizenz in Hongkong zu gelangen.
Wirecard bestritt die Vorwürfe im Rahmen einer polizeilichen Untersuchung der Niederlassung in Singapur. Trotzdem fiel der Aktienkurs zwischen dem 30. Januar und 8. Februar 2019 um mehr als 50 Prozent auf 86 Euro. Am 18. Februar 2019 erließ die BaFin ein Verbot zum Aufbau und zur Vergrößerung von Nettoleerverkaufspositionen für Wirecard-Aktien.
Eine anwaltliche Untersuchung ergab schließlich, dass es zwar Unregelmäßigkeiten gegeben habe, diese jedoch keinen wesentlichen Einfluss auf die Bilanz hätten. Wirecard klagte im Nachgang gegen die „Financial Times“ wegen Marktmanipulation – die umstrittenen Berichte seien schließlich Auslöser für den Crash gewesen – und reichte zusätzlich eine Unterlassungsklage ein, um der Berichterstattung ein Ende zu setzen.
Erneute Manipulationsvorwürfe
Nur wenige Monate später wurden weitere Vorwürfe seitens der „Financial Times“ laut: Am 15. Oktober 2019 wurde bekannt, dass Wirecard zu hohe Umsätze und Gewinne bei Tochtergesellschaften angegeben habe. Der Aktienkurs, der nach einer Erholung bei rund 150 Euro knapp unter seinem vorherigen Niveau notierte, brach infolgedessen um rund 23 Prozent auf unter 110 Euro ein.
Nachdem die erneuten Vorwürfe durch Wirecard zurückgewiesen wurden, beauftragte das Unternehmen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer Sonderprüfung. Deren Ergebnisse wurden am 27. April 2020 veröffentlicht, wobei festgestellt wurde, dass nicht alle Daten vollständig ausgewertet werden konnten.
Insbesondere im Bereich des Drittpartnergeschäfts konnte KPMG keine Aussage über bestimmte Umsatzerlöse treffen. Dadurch konnten auch die Vorwürfe nicht vollständig ausgeräumt werden – jedoch erklärte der damalige Wirecard-CEO Markus Braun das Unternehmen durch den Bericht als entlastet.
Noch am selben Tag verschob Wirecard die für den 29. April 2020 angekündigte Bilanzpressekonferenz und die Veröffentlichung des Geschäftsberichts für 2019 auf Anfang Juni 2020. In den folgenden Tagen fiel der Kurs der Wirecard-Aktie um fast 40 Prozent auf knapp über 80 Euro, konnte sich aber wieder erholen.
Entwicklung im Juni 2020: 1,9 Milliarden Euro fehlen in der Bilanz
Am Abend des 17. Juni 2020 notierte der Wirecard-Kurs bei knapp 105 Euro. Am darauffolgenden Tag konnte das Unternehmen den angekündigten testierten Jahresabschluss, der zuvor vom 4. Juni ein weiteres Mal auf den 18. Juni verschoben worden war, immer noch nicht vorlegen.
Nach Angaben der Abschlussprüfer EY wurden „keine ausreichenden Prüfungsnachweise für Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro“ erlangt.
Auf diese schockierende Aussage reagierte der Markt prompt: Innerhalb weniger Minuten stürzte der Kurs der Wirecard-Aktie auf unter 60 Euro ab und erreichte im weiteren Verlauf ein Tagestief von knapp 30 Euro, bevor er schließlich bei 39,90 Euro schloss. Dieser Verlust von 67 Prozent war – nach der Hypo Real Estate im Jahr 2008 – der zweithöchste Tagesverlust eines DAX-Unternehmens überhaupt.
Good to know: Gab es die 1,9 Milliarden Euro jemals?
Ersten Berichten zufolge sollten sich die verschwundenen 1,9 Milliarden Euro, die letztlich zum Zusammenbruch von Wirecard geführt haben, auf philippinischen Treuhandkonten befinden. Jedoch wurde ein bestehendes Geschäftsverhältnis sowohl seitens der BDO Unibank, der Bank of the Philippine Islands als auch der Zentralbank der Philippinen bestritten.
Zunächst inszenierte sich Wirecard als Opfer und gab an, bereits wegen Betrugsverdachts Anzeige gegen Unbekannt erstattet zu haben. Später erklärte der Vorstand von Wirecard jedoch, die angeblichen Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro bestünden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht.
Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre konnten nach dieser Aussage ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Die Schlussfolgerung liegt also nahe, dass das Unternehmen tatsächlich über Jahre hinweg falsche Bilanzen erstellt und Einnahmen vorgetäuscht hat, die nicht existierten.
Die Folgen des Wirecard-Skandals
Der Wirecard-Skandal hatte Auswirkungen auf den unterschiedlichsten Ebenen: Nicht nur das Unternehmen und seine Anleger:innen waren betroffen, auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gerieten in die Kritik.
Unternehmensinsolvenz
Am Morgen des 25. Juni 2020 stellte Wirecard einen Insolvenzantrag, mehrere Tochterfirmen schlossen sich an. Aufgrund der Insolvenz stufte die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit von Wirecard von Baa3 („durchschnittlich“) auf B3 („hochspekulativ“) herab.
Der als Insolvenzverwalter eingesetzte Michael Jaffé konnte im Rahmen der Abwicklung durch die Zerschlagung und den Verkauf von Tochtergesellschaften rund eine Milliarde Euro liquidieren.
Hohe Anlegerverluste
Der Aktienkurs war im Zuge der Herabstufung bereits auf rund 13 Euro gefallen und fiel in den folgenden Wochen schließlich weiter in den Centbereich. Zum 15. November 2021 wurde die Aktie schließlich aus dem Handel genommen.
Im Zuge des Aktiencrashs verloren zunächst zahlreiche Anleger:innen ihr Geld; bekannt sind Einzelverluste im sechsstelligen Bereich. Neben Banken, Sozialkassen und anderen Gläubigern fordern 22.000 ehemalige Aktionär:innen Schadensersatz – insgesamt belaufen sich die Forderungen auf über zehn Milliarden Euro.
Im Laufe des Insolvenzverfahrens stellte das Landgericht München I Ende 2022 allerdings fest, dass die Investor:innen nicht als Gläubiger:innen gälten und deshalb keine Schadensersatzansprüche hätten. Ob diese Einschätzung korrekt ist, dürfte sich aber wohl erst vor dem Bundesgerichtshof entscheiden.
Strafrechtliche Folgen
CEO und Vorstandsvorsitzender Markus Braun trat noch am 19. April 2020 zurück, verkaufte einen Großteil seiner Wirecard-Aktien und stellte sich kurz darauf der Polizei, die einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Dieser Haftbefehl wurde gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro und unter Auflagen außer Vollzug gesetzt.
Allerdings wurde er nur wenige Wochen später erneut festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Prozess wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gegen ihn läuft seit dem 8. Dezember 2022, Verfahrenssitzungen sind bis auf Weiteres regelmäßig angesetzt (Stand: 3. April 2023).
Jan Marsalek, für das operative Geschäft zuständiges Vorstandsmitglied und damit hauptverantwortlich für den Skandal, wurde zunächst suspendiert und kurz darauf fristlos entlassen. Seitdem ist er auf der Flucht vor der deutschen Justiz und wird mit internationalem Haftbefehl wegen diverser Vermögens- und Wirtschaftsdelikte, unter anderem wegen besonders schwerer Untreue und gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gesucht.
Kritik an EY
Trotz der frühzeitigen Hinweise auf Unregelmäßigkeiten hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY jahrelang die Abschlüsse von Wirecard uneingeschränkt testiert. Im Zuge des Wirecard-Skandals wurden schwere Vorwürfe gegen EY erhoben, unter anderem wegen fehlerhafter Prüfung und mangelnder Kontrolle. Konkret wurde EY vorgeworfen, die Existenz der mutmaßlich gefälschten Bankguthaben auf Treuhandkonten nicht ausreichend geprüft zu haben.
Im Nachhinein stellte sich zudem heraus, dass EY bei der Prüfung nicht unabhängig genug war, da die Gesellschaft auch Beratungsleistungen für Wirecard erbracht hatte. Mehrere für Wirecard zuständige EY-Wirtschaftsprüfer haben inzwischen ihre Berufszulassung aufgegeben. Dadurch entgehen sie möglichen Strafen, da die Aufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (APAS) nur gegen Prüfer:innen mit aktiver Zulassung vorgehen darf.
Vorwürfe gegen die BaFin
Die BaFin wird dafür kritisiert, im Fall Wirecard nicht früher und energischer gehandelt zu haben. Der damalige BaFin-Chef Felix Hufeld gab zu, dass die BaFin nicht effektiv genug war, um zu verhindern, dass es zum Wirecard-Skandal kam. Er erklärte 2020 vor dem Verwaltungsrat, dass die BaFin nur die Banktochter der Wirecard AG habe prüfen können und nicht für den Rest des Konzerns zuständig sei.
Anfang 2019 hatte Hufeld deshalb die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) damit beauftragt, den Verdacht auf Unstimmigkeiten in der Konzernbilanz von Wirecard zu klären. Die BaFin hätte bei erheblichen Zweifeln gemäß Wertpapierhandelsgesetz eingreifen können, erklärte jedoch, dass Berichte über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nicht automatisch Zweifel an der Prüfung durch die DPR begründen. Die DPR betonte dabei, dass es keine Mängel im Prüfablauf gab.
Personelle Konsequenzen wurden aus dem Wirecard-Skandal bereits nach kurzer Zeit gezogen, unter anderem durch den Rücktritt von Felix Hufeld und des für die Wirecard-Aufsicht zuständigen Abteilungsleiters. Mit dem zum 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz will die BaFin ihre Strategien und Maßnahmen anpassen, um effektiver zu werden und ähnliche Fälle in Zukunft zu verhindern.
Welche Lehre lässt sich aus dem Wirecard-Skandal ziehen?
Der Fall Wirecard hat weltweit für Aufsehen gesorgt und zu Verunsicherung in der Finanzbranche geführt. Es wurde deutlich, dass die bisherigen Kontrollmechanismen der Finanzaufsichtsbehörden nicht ausreichend waren, um mögliche Unregelmäßigkeiten bei Wirecard aufzudecken. Politiker:innen forderten eine Reform der Finanzaufsicht, um ähnliche Skandale in Zukunft zu vermeiden.
Daraus ist das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) entstanden, das im Juli 2021 das bisherige Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) abgelöst hat. Das FISG soll die Finanzmarktintegrität in Deutschland stärken und insbesondere den Schutz von Anleger:innen verbessern.
Entsprechend wurden die Aufgaben und Befugnisse der Finanzaufsichtsbehörden erweitert. Zusätzlich wurden die Regeln für die Transparenz von Finanzinstrumenten und die Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen verschärft. Ob das FISG ausreicht, Situationen wie den Wirecard-Skandal zu verhindern, wird jedoch nur die Zukunft zeigen.